Geschrieben von Sarah Braun
Wäre dies eine Sage, sie würde von HeldInnen und Helden erzählen, sie würde sich um die
Magie der bleichen Berge drehen, sie würde von der Kraft von Freundschaft und Liebe
handeln, und sie würde Hoffnung machen, Hoffnung darauf, dass Wunder von uns selbst
geschaffen werden können.
Dies ist aber keine Sage. Es ist meine kleine Realität und im Moment sieht es auch nicht danach
aus, als würde gleich des Tischlers Sohn in mein Zimmer stürmen, um mich zu retten. Es ist
etwa drei in der Früh. Die Vögel zwitschern noch nicht um mir endlich ein Ende der Nacht und
den beginnenden Tag anzukündigen. Das Licht ist gedimmt, aber trotzdem zu hell für meine
müden Augen. Ich starre an die weiße Wand und versuche diesem Zimmer zumindest in
Gedanken zu entfliehen. Die Stimme hinter mir tobt. Sie sagt, ich habe das alles verdient. Ich
bin eine Zumutung. Ich reagiere nicht auf die Worte. Vielleicht hat sie ja recht. Ich weiß es in
diesem Augenblick nicht. Meine Therapeutin rät mir immer, wenn ich Situationen wehrlos
ausgeliefert bin, ich angegriffen werde, dann soll ich mir eine schützende Eierschale aus Gold
vorstellen an der alles abprallt. Meine Eierschale hat leider Löcher. Die Person hinter mir soll
mir das Leben erleichtern, das abnehmen, was ich nicht mehr kann. Eine Beziehung die auf
Vertrauen basiert. Ich vertraue ihr nicht mehr und traue ihr sogar alles zu. Ich liege in meinem
Durchfall, wie ein Kleinkind und versuche Schutz in meinem imaginären Schneckenhaus zu
finden. Nein, das ist wohl keine Sage. Das ist die Realität von vielen Menschen und ich gehöre
noch zu den glücklichen unter ihnen. Meine Eltern schlafen auch im Haus. Das schützt mich
vor einer Eskalation, aber nicht vor diesen Worten. Als sie endlich geht, mir die letzten
zornigen Äußerungen gegen den Rücken wirft, beschwere ich mich nicht, dass meine Arme
verdreht sind, mein Kopf nicht die richtige Position hat um meine Lungen leicht mit Luft zu
füllen. Ich weiß, ich werde diese letzten Stunden der Nacht aushalten und der Tag, auf den ich
seit zwei Monaten aufgeregt warte wird anbrechen. Die Gedanken, die mir sagen, dass ich in
diesem Zustand auf keinen Fall in mein sehnlich gewünschtes Abenteuer starten kann, schicke
ich weiter. Sonst würde ich die Stunden durch heulen und das würde nicht helfen, selbst wenn
es zur Realität würde.
Als der morgen anbricht, beugt sich meine Mutter liebevoll lächelnd über mich. Sie stellt mir
ein paar Fragen, um herauszufinden wie es mir geht. Sie schafft es, mich so zu verstehen, dass
sie weiß, dass sie Ben um Rat bitten soll. Ben ist seit fast einem Jahr mein Arzt. Mittlerweile
ist er weit mehr und seine Bedeutung für mein Leben und Sterben kann ich nicht mehr in
Worte fassen. Als er das erste Mal zu mir kam, war es ein gewöhnlicher September Abend.
Vielleicht war der Tag warm gewesen, erinnerte an den heißen Sommer und machte Hoffnung
auf mehr davon. Vielleicht war er schon herbstlich frisch, den Duft von fallenden Blättern
versprühend und mit diesem goldenen Glanz versehen, der verzaubert. Ja, vielleicht war das
so, aber vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht mehr und es ist auch nicht wichtig. Wichtig ist,
dass er damals in mein Leben trat. Meine Sozialarbeiterin Barbara hatte ihn mitgebracht. Die
zwei saßen mit mir in meinem Zimmer. Er lachte darüber, wie bequem mein Toilettenstuhl
doch sei. Er hing so lässig in meinem fahrbaren Untersatz, man war dazu verleitet, ihm zu
glauben. Wir besprachen meine diversen Wehwehchen und derzeitigen Medikamente. Ich
brauchte jemanden an meiner Seite, der meine Bedürfnisse erkannte und nicht vorgefertigte
Meinungen vertrat. Dass Ben genau das kann ist vom ersten Moment an klar. Er sucht Wege,
die gemeinsam gegangen werden können. Er findet in jedem Menschen das Besondere und
gibt gerne - seine Geduld, sein offenes Ohr, seine Kraft oder er teilt Freude, weil ihn das eben
selbst freut. Als er sich damals von mir verabschiedete, bedankt er sich für das gute Gespräch
- kein Wort hatte meine Lippen verlassen. Trotzdem blieb das Gefühl, dass er genau gesehen
hat, wer ich bin. Er bietet mir an, ich dürfe mit ihm auch über meine Sorgen sprechen, er will
mich so gut er kann unterstützen. Ich wusste schon damals, er ist ein Mensch, den ich gerne
an meinem Sterbebett hätte. Jetzt, ein Jahr später ist er ein so wichtiger Teil von meinem
Leben geworden, dass ich mir kaum noch vorstellen kann, wie ich das was auf mich wartet,
ohne ihn schaffen kann.
Als meine Mutter ihn anruft, ist er bereits mit seiner Frau Sarah in Brixen und nahe dem Ort,
von dem wir morgen mit neunzehn anderen Wahnsinnigen in mein Abenteuer starten wollen.
Ich bitte ihn erst jetzt um Hilfe und weiß, finden wir keine Lösung, ich wäre wirklich selbst
schuld. Er gibt ein paar Anweisungen durch, wie wir mich reisefit bekommen und meine Eltern
äußern auch keinerlei Zweifel daran. Sie wissen, welch enorme Bedeutung die kommenden
Tage für mich haben, es mir auszureden ist keine Option. Nun beugt auch Maja, meine
Pflegerin für die nächsten Tage, ihr Gesicht über mich. In ihrem gewohnt fröhlichen Ton sagt
sie bestimmt „Du vergisst jetzt deine Probleme, dann werden sie verschwinden, wir
bekommen das schon hin.“ Mehr brauche ich nicht um mich zu beruhigen. Das schafft Maja
schon immer so. Meist muss ich über ihre unverblümt ehrliche Art so lachen, dass mein
Morgengroll sofort verschwindet. Wenn Sie im Urlaub war, sind das Sätze wie „ich hab zwei
Wochen überhaupt nicht an dich gedacht Sarah, das war so schön.“

Das kann ich nur zu gut
verstehen. Sie ist seit fast einem Jahr bei mir und wenn ich mir was Blödsinniges überlege,
dann begleitet sie mich dabei. Heute duscht sie mich sanft und versucht mich weiter zu
beruhigen, auch sie weiß um die Bedeutung der nächsten Tage.
Als ich fertig bin streckt auch schon Sabrina breit grinsend ihren Kopf hinter meinem gelben
Ohrensessel hervor. „Na Schnecki, da haben wir ja beide den gleichen Scheiß, allerdings kann
ich schneller laufen als du.“ In mir beruhigt sich alles immer mehr. Es sind Menschen, die mein
bestes wollen und sogar Qualen auf sich nehmen, um mich glücklich zu machen. Als wir mit
Felix und Joni im Auto sitzen, schließe ich zufrieden meine Augen. Die drei sind damit
beschäftigt, sich gegenseitig zu frotzeln. Einig ist man sich darüber, dass unter allen
Umständen Felix der Mund verboten werden soll. Dafür kann ich sogar zustimmend nicken.
Felix stimmt trotzdem sein momentanes Lieblingslied an „vor, zurück, dreh dich im Kreis und
schon bist du heiß“ joni stöhnt laut auf, maja lacht, Sabrina fleht ihn an aufzuhören und ich
verdrehe die Augen. Felix weiß, es bedeutet „Du Idiot.“ Gleichzeitig wissen alle im Auto aber
auch wie sehr ich sie liebe. Jeden einzelnen von Ihnen. Je länger die Fahrt dauert, umso
schwerer fällt es mir zu atmen. Ich finde einfach keine gute Position und als wir uns die
Serpentinen den Berg hinauf schlängeln, wird es immer schlimmer. Sabrina versucht von
hinten mich von der überschäumenden Spucke zu befreien, hält meinen Kopf, bleibt ruhig und
irgendwann erreichen wir so auch den Parkplatz. Ich bin erschöpft und sehne mich nach
zumindest einem entspannten Atemzug. Sarah strahlt mir schon aus einer Parklücke
entgegen. Wenn Sie lacht, kann man gar nicht anders, als gut gelaunt zu sein. Mit ihrem Lachen
kann sie Sorgen nehmen und Unbeschwertheit schenken. Eine wundervolle Gabe. Während
sich alle begrüßen und sich damit auch kennen lernen, bleibe ich geduldig im Auto sitzen. Ben
streckt seinen Kopf herein, ich strahle ihn müde an. Sein Blick ist liebevoll, aber auch gemischt
mit Sorgen. Ich weiß nun, ich sehe auch so aus, wie ich mich fühle. Das nächste Auto voll
verrückter Menschen rollt an. Nach und nach beugen sich lotti, Kerstin, babi und lefti in mein
Gesichtsfeld. Bei lefti kommen mir die Tränen. Ich kann gar nicht genau beschreiben, warum
das so ist, aber bei ihm geht es mir fast immer so. Freude und Trauer vermischen sich und die
gegenseitige Zuneigung ist spürbar. Flo begrüßt mich als letztes. Bisher kenne ich ihn nur aus
Leftis und Babis Erzählungen. Er soll die Karawane unterstützen, mich auf meinen Herzensberg
zu bringen. Er ist stark, hat viel Bergerfahrungen und behält auch unter großer Anstrengung
seinen Humor. All das wird er morgen auch unter Beweis stellen.
Der Weg zur Hütte ist nicht weit trotzdem ist man sich einig, dass ich hochgefahren werde.
Der Forstweg führt durch einen Nadelwald. Den Wegesrand säumen Blumen in allen Farben
und Formen, wir passieren eine kleine Quelle, irgendwann lichten sich die Bäume und
eröffnen den Blick auf eine weite Almwiese. Dieser Anblick gibt mir mittlerweile das Gefühl,
nach Hause zu kommen. Man sieht die charmante Hütte, auf der wir schlafen werden, in
einiger Entfernung auch die große Vereinshütte, die meinen Vater durch seine Jugend
begleitet hat und mich durch meine letzten Geburtstage – Und man sieht auf die
majestätischen Felsformationen der Aferen Geisler mit dem in der Ferne thronenden
Peitlerkofel. Dieser Anblick schafft es immer wieder, dass keine Sorgen oder Ängste mehr
existieren. Es ist das pure Leben ohne gestern und morgen. Nur das hier und jetzt ist von
Bedeutung. Die Luft ist so klar, wie sie es eigentlich nur im September ist. Die Berge erscheinen
noch imposanter und sind ganz klar definiert. Schöner könnte der erste Tag nicht beginnen.
Während Sabrina und Felix Alles mit Franz, dem Hüttenwirt klären, darf ich in meinem grünen
Liegestuhl den Blick auf die Berge genießen. Nach und nach trudeln auch alle weiteren
Bergziegen ein. Sogar Reini, der Trauzeuge meiner Eltern, kommt mit seiner Lebensgefährtin
Gitte auf einen Sprung vorbei. Ihm kann ich in jedem Blick ansehen, wie grausam er es findet,
was mit mir passiert. Wie sehr er sich wünschen würde, dass ich ihn wieder vorwurfsvoll
ansehe, weil er mich nicht mit den Baggern spielen lässt, die in seinem Büro stehen. Wie gerne
er mich sagen hören würde „Hast du keine Küche etwa wohl?“ Weil ich als siebenjährige
einfach nicht verstanden habe, warum er immer zu uns zum Essen kam. Aber genauso, verrät
mir sein Blick auch, dass er mir jeden Moment, hier an meinem Lieblingsort, aus tiefstem
Herzen gönnt. Alex schärft er trotzdem ein, dass ich mir die erste Stunde des Weges unbedingt
ersparen soll und sie mit dem Auto fahren soll. Der Rest wird anstrengend genug. Alex
überlässt die Entscheidung mir. Er weiß, wie trotzig ich werde, wenn man mir abnimmt, was
ich noch selbst kann. Alex muss diesmal nicht meine Pflege übernehmen, er hat aber trotzdem
immer ein Auge auf das große Ganze. Bei ihm weiß ich, dass er aufpasst, dass nichts aus dem
Ruder läuft und alles so klappt, wie ich es mir wünsche. Als wir irgendwann alle beim
Abendessen sitzen, kommen mir immer wieder heimlich die Tränen. Diese Menschen sind alle
wegen mir hierhergekommen. Das kann ich kaum glauben. Die Gruppe ist so bunt und kaum
jemand kennt mehr als eine Handvoll Menschen. Trotzdem sind sie alle bereit, mich auf diesen
durchaus einschüchternden Gipfel zu schieben und zu tragen. Zumindest versuchen wollen sie
es. Es gibt berechtigte Zweifel, ob das überhaupt möglich ist. Zum einen, weil der Weg steil,
steinig, felsig und sehr lang werden wird. Zum anderen, weil ich mit mir selbst, den Schmerzen
und meiner Atmung kämpfen werde. Es wird ein Versuch, gar ein Experiment und das kann
schief gehen. So schief, dass ich vielleicht meinen letzten Atemzug tätigen werde. Das ist allen
bewusst und vielleicht auch gerade deswegen, wollen wir es versuchen. Das Leben ist zu kurz
für Eventualitäten und speziell mein Leben ist zu kurz, um es nicht zu wagen. Der Abend ist
unbeschwert. Felix und Sabrina haben für alle Stirnbänder mit kleinen Hummeln genäht, sowie
kleine Wäscheklammern bedrucken lassen. Flotschi hat Tshirts entworfen und Sarah möchte
allen eine individuelle Erinnerung anfertigen. Lotti schenkt jeden Bissen des Abendessens, den
ich nicht kauen und schlucken kann, mir. Sie weiß, wie sehr ich es genossen hätte und so
schenkt sie mir zumindest ihren Genuss. Mein Bruder verteilt an alle Schokolade und joni und
Felix stellen für mich alle vor. Wie immer machen Sie das großartig und so sind meine Worte
auch ein Teil dieser Tage. Immer wieder wird sie jemand aufgreifen und mich ein klein wenig
mehr Teil sein lassen. Wir werden immer mehr eine kleine eingeschworene Gruppe, ohne dass
sich jemand anstrengt, ohne erzwingen, ganz natürlich, ganz nebenbei. Es gibt ein klares Ziel
und das lässt Unterschiede verschwinden. Lefti formuliert es am letzten Abend treffend „es
ist wirklich kein Arschloch dabei.“. Widerstandslos lasse ich mich früh ins Bett bringen. Der
nächste morgen wird früh anbrechen und der Tag wird zu einer emotionalen Reise mit einer
ungeahnten Tiefe werden.

Vor zwei Monaten präsentierte ich meiner Wandergruppe meinen Wunsch, den letzten Berg,
den ich vor drei Jahren noch selbst bestiegen hatte, wieder erklimmen zu wollen. Es gab keine
Diskussionen, sie alle wollten es mir ermöglichen und mir erschien der Plan recht logisch, nicht
im Ansatz unmöglich. Immer mehr Freundinnen äußerten den Wunsch, mitkommen zu
wollen. Es fühlte sich vom ersten Tag der Planung richtig an. Richtig, wer mitkommen wollte,
richtig, dass wir es versuchen würden und eigentlich hatte ich nicht mal Zweifel daran, dass
wir es auch schaffen würden. Jetzt ist es halb sieben am Morgen, ich sitze in meinem
Wanderrollstuhl und zweifle an meiner Zurechnungsfähigkeit. Wir sind direkt am Fuße meines
geliebten Berges. Die Felswände ziehen sich steil nach oben und würde ich sie nicht so lieben,
mir würde der Angstschweiß nur so den Rücken runterlaufen. Wir laufen gerade mal fünf
Minuten und ich frage mich, was ich mir dabei gedacht habe. Wie komme ich auf die Idee,
sowas von meinen Freundinnen und Freunden zu verlangen? Wie komme ich überhaupt auf
die Idee, dass ich selbst diesen Wahnsinn aushalte. Die letzten Touren auf unsere weitaus
bescheideneren Hausberge, hatten mir schon so viel abverlangt und jetzt wollte ich uns alle
hier hoch Quälen. Das war doch verrückt. Mein Mund läuft bereits mit Spucke über und macht
das Atmen schwer. Ben hüpft neben mir her, sieht meine Misere und zückt den
Absaugschlauch. Ich muss immer lachen, wenn er das macht. Allen, denen ich vorab erzählt
habe, dass er meine Spucke mit dem Mund absaugt, hatten mich mit einer Mischung aus
Schock und ekel angesehen. Dem folgte meist ein nachdenklicher Blick. Würde man sowas für
den eigenen Partner oder Partnerin machen? Klare Antworten fand darauf niemand. Zur
allgemeinen Belustigung führt es aber trotzdem schnell. „Du bist so ein Schnorrer, Ben. Zu
faul, dein eigenes Trinken zu tragen.“ Dafür liebe ich meine Verrückten. Wenn Sie sehen, dass
es mir mein Leben erleichtert, dann wird es angenommen, egal wie die eigene Befindlichkeit
dazu ist. Und es erleichtert mein Leben enorm. Und so starten wir nun also alle in mein
Abenteuer. Ich finde auch erstaunlich schnell eine gute Position für meinen Kopf und habe
kaum Probleme mit der Atmung. Damit habe ich nicht gerechnet, bin aber unheimlich
erleichtert und fange an zu genießen, was meine Welt mir gerade bietet. Überall blühen noch
die bunten Blumen. Leuchtend gelb, lila, rot und weiß. Dafür ist der Peitlerkofel bekannt. Vor
allem im Juni entfaltet sich rund um ihn eine atemberaubende Blumenpracht. Anfang Juli
sehen wir noch die letzten Farbtupfer. Die Luft ist so früh am Morgen noch ganz leicht und
wunderbar zu atmen. Meine Zugpferde werden bereits jetzt ziemlich gefordert. Babi hatte die
Idee gehabt, noch eine Übungsstunde einzulegen und so hatten sie gestern noch geübt, wie
sie mir die Tour so angenehm wie möglich gestalten konnten. Möglichst wenig Schläge,
möglichst wenig wackeln und möglichst viel heben. Das bedeutete aber auch viel mehr
Anstrengung für sie. Bereits die ersten Höhenmeter wird oft durchgewechselt und die
Anstrengung ist allen anzusehen. Unsere Wanderung letztes Jahr erscheint mir auf einmal
noch absurder. Alex, Babi, Felix, Lefti und Joni hatten mich drei Tage durch die Dolomiten
geschunkelt. Jetzt hatten sie zehn Menschen mehr zur Unterstützung und es ist immer noch
hart.
Sabrina blickt mir neugierig in die Augen. Sie fragt, ob alles in Ordnung ist. Sie hat es sich zur
Aufgabe gemacht, mir das Leben so einfach wie möglich zu machen. Seit einem Monat
trainiert sie deshalb in ihrer Mittagspause zweimal die Woche mit meiner Physiotherapeutin,
wie sie mich heben, bewegen und massieren kann. Ich habe ihr eine Liste geschrieben mit
Bedürfnissen, die ich haben könnte, wie man sie erkennt und was sie tun kann, um mir zu
helfen. Aber selbst die detaillierteste Liste kann nicht auf alles vorbereiten. Es bedarf eines
großen Einfühlungsvermögens, um zu erkennen, wo der Schuh drückt. Das hatte Sabrina von
Beginn an. Sie kennt mich nur krank und fast sprachlos. Trotzdem hatte sie nie
Berührungsängste. Durchaus beeindruckend, wenn man bedenkt, dass ich ihr bei unserem
ersten Kinoausflug gleich mal in den Finger gebissen habe. Sabrina ist auch ein Grund warum
wir heute überhaupt hier hoch rollen. Als Felix Sabrina kennen lernte, bestand die Idee über
die Berge zu ziehen zwar schon, aber irgendwie glaubten weder joni und Felix noch ich daran,
dass es noch machbar war. Sabrina ermutigte Felix, das Ganze nochmal anzugehen. So fing
unser erstes Abenteuer in den Dolomiten auch wegen ihr an. Beim Zweiten ist sie nun selbst
dabei und nimmt allen anderen ab, wovor sie den größten Respekt haben. Mich umsorgen.
Ich bin zwar nicht sonderlich weinerlich oder äußere allzu viele Wünsche, aber es treibt
meinen Gegenübern häufig Schweißperlen auf die Stirn, wenn klar ersichtlich ist, dass etwas
nicht stimmt, aber es zu einer Blackstory wird, rauszufinden, was passiert ist. „Sarah starrt in
die Luft, röchelt und läuft rot an. Was ist passiert und was kann man tun?“ Diese Rätsel löst
Sabrina für uns alle und so kann ich entspannt die Berge genießen und die anderen können
sich sorglos, den Berg hochschinden. Und es ist wahrlich ein Schinden. Der Weg ist so
verblockt, es muss immer jemand voraus gehen und einen Weg suchen, der irgendwie zu
bewältigen ist. Ich werde Steilstufen emporgehoben, ich werde unter voller Kraftanstrengung
gezogen und irgendwann werde ich nur noch getragen. Wir sind eine lange Karawane. Ich
kann nicht überblicken, was um mich herum passiert. Ich habe noch nicht mal alle Mitglieder
meiner Karawane zu Gesicht bekommen. Manche tragen zwei Rucksäcke, manche schieben
mich, ohne dass ich es überhaupt mitbekomme. Das Wetter belohnt uns mit einem blauen
Himmel. Die Höhenmeter schmelzen dahin, die Stimmung ist heiter und Ben optimistisch, dass
der Gipfel für mich gut erreichbar ist. Immer wieder huscht Judith durch mein Gesichtsfeld.
Sie gehört hier nach eigenen Angaben nicht hin. Sie möchte trotzdem dabei sein. Ein Gefühl
dafür bekommen, was es bedeutet, mich hier hoch zu chauffieren. Vor vier Monaten hatte sie
die Idee gehabt, unser erstes Abenteuer zu verfilmen. Seitdem ist sie meine fast tägliche
Wegbegleiterin. Sie hat mir Perspektiven auf mein eigenes Leben eröffnet, die mir bisher
unerkannt geblieben waren. Ich vertraute ihr meine intimsten Geheimnisse an und hatte sie
bereits so in mein Herz geschlossen, dass ich mich unendlich freute, sie dabei zu haben. Als
sie mich am Vortag begrüßte, lag ich im Bett, um mich etwas zu erholen. Sie setzte sich zu mir
und erstaunlicherweise fühlte es sich so an, als würde sie genau hierhin gehören. Hier an
meine Seite, selbst wenn wir uns erst zum dritten Mal sahen. Ich weiß, wie viel Respekt sie vor
dieser Wanderung hat und umso beeindruckter bin ich, wie souverän sie mit unserer
Karawane mithält. Wir überwinden meine gefürchtete Scharte ohne große Probleme, machen
kurz Pause und ziehen weiter. Die Techniken werden verfeinert, Sabrina setzt mich nochmal
richtig hin, es läuft dahin. Mittlerweile tragen an allen Seiten immer wieder helfende Hände
und die letzten Höhenmeter ziehen Babi und Kerstin in einem Höllentempo vor meiner
Kutsche her. Wir sehen den Gipfel und wissen, wir werden unser Ziel erreichen.
Die letzten Meter zum Gipfel laufen mir die Tränen über das Gesicht. Sie haben mich wirklich
hier hochgetragen – und in diesem Fall stimmt wirklich „getragen“. Sie alle haben ohne
Jammern ihr Bestes gegeben, um mir meinen Traum zu erfüllen. Sie haben mich als Team hier
hochgebracht, obwohl sie gestern noch Fremde waren. Als wir wirklich am Gipfel stehen, gibt
es keine Jubelschreie, kein sich um den Hals fallen. Ich werde nahe dem Abgrund mit Blick auf
den großen Peitlerkofel, platziert. Die anderen setzen sich erschöpft hinter und um mich
herum auf die hellen Steine und schweigen. Gut, alle außer Felix vielleicht. Der möchte mit
Mina, Sabrina s kleinem Chihuahua König der Löwen nachspielen und hält sie mit gestreckten
Armen über seinem Kopf empor. Minas blickt spricht Bände und sagt etwa so viel wie „Oh
man, was man im Leben alles mitmachen muss. Für Sabrina, für Sabrina… Ich halt das nur ihr
zur Liebe aus. Wuuuuusa“ Sabrina und Ben versorgen mich, danach sich selbst. Lotti sitzt
rechts von mir in einiger Entfernung. Sie blickt zu mir, wir beide weinen. Wir hatten oft davon
geträumt, gemeinsam in die Berge zu ziehen. Wir hatten allerdings auch immer das Vertrauen
gehabt, dass wir noch Zeit haben. Zeit für gemeinsame Erfahrungen, Zeit, die andere in die
Zukunft zu begleiten, Zeit das Leben zu leben. Aber das Leben hat andere Pläne und was uns
jetzt fehlt ist eben Zeit. Hier oben fehlt allerdings nicht mal sie. Hier oben reicht jeder Moment,
hier oben zählt nur was wir haben. Morgen hat lotti Geburtstag. Ich darf mit ihr feiern, ich darf
sie feiern. In der früh wird sie als erstes zu mir stapfen, weil sie weiß, unter anderen
Umständen hätte ich sie aus dem Bett geholt. Sabrina hat ihr einen Kuchen gebacken und wird
ihr einen Geburtstagstisch vorbereiten. Sarah hat uns Armbänder nach meinen Wünschen
gestaltet. Sie sind bescheiden, zart und für immer, geschmiedet aus einem Stück. Nach dem
Frühstück werden wir alle nochmal in der Sonne sitzen, mit Blick auf unseren jetzigen Gipfel
und Lotti wird uns über die bleichen Berge vorlesen. So werden wir uns von diesem Ort
verabschieden. Unaufgeregt, langsam und demütig. Und so wird auch die Zeit relativ. Wir
haben hier miteinander gelebt, geweint, gelacht, geliebt – das wird uns niemand mehr
nehmen und ist für immer zeitlos.
Zwei Wochen zuvor hatte ich mir gewünscht, am Gipfel zu stehen. Selbst, auf meinen eigenen
Füßen. Die Magie selbst spüren, verbunden sein mit der Erde. Mich auf meine Beine zu stellen
ist allerdings gar nicht so einfach. Meine Beine haben nämlich die Kraft von Wackelpudding
und mein Kopf hat die Flexibilität eines Wackeldackels. Felix und Sabrina haben mit meiner
Physiotherapeutin geübt, wie es klappen kann. Voraussetzung ist nur, dass mich der Weg nach
oben nicht zu sehr geschafft hat. Darum machen sich allerdings nur die anderen sorgen. Ich
weiß, dass mein Sturschädel unter allen Umständen dafür sorgen wird, dass die Kraft dafür
reicht und wenn es bedeutet, dass danach die Lichtlein ausgehen. Als wir uns für unser
Vorhaben positionieren, bleiben die anderen, wie vor einer imaginären Bühne stehen. Sabrina
und Felix heben mich sanft nach oben, halten meine Arme, die mich sonst nur mit ihrem
Eigengewicht in die Knie zwingen würden und heben meinen Kopf. Nun stehe ich also wirklich
hier oben. Auf meinen eigenen Füßen, in meinen überall fehl am Platz aussehenden pinken
Turnschuhen. Mein Moment für die Ewigkeit. Danach falle ich erschöpft in mich zusammen.
Wir sehen alle noch ein bisschen über die Berge der Dolomiten. Wir blicken über die
Geislergruppe, den Sellastock bis hin zur Marmolada. Lefti spielt unser Lied. Wieder ist klar zu
spüren, dass das Grauen immer auch eine andere Seite hat. Mein Silberstreif am Horizont sind
sie. Die Menschen, die sich hier um mich versammelt haben.
Kerstin,
Die unerschöpfliche Gutelaunekönigin, die mich wirklich alleine hier hoch hätte tragen
können.
Sabrina,
Die mir alles mit weiser Voraussicht abnimmt und mich am Leben teilhaben lässt, wie
kaum ein anderer.
Lefti,
der mir jedes Übel abnehmen würde, wenn er könnte und mir jeden Traum erfüllen
würde.
Stefan,
der mich auf diesen Berg hebt und trägt, obwohl er mich kaum kennt.
Flo,
der mich überhaupt nicht kennt, mich wie ein Stier trägt und trotzdem dankbar ist, ein
Teil davon zu sein.
Flotschi,
der meine Krankheit so grausam wie nur irgend möglich findet und meinen Weg
trotzdem voll Liebe begleitet.
Lotti,
meine Vertraute, meine gute Seele und der Mensch, der alles auffängt, wenn ich
verloren bin.
Judith,
die mein Leben ungeahnt bereichert und mir Lebenslust schenkte, als ich keine mehr
hatte.
Joni,
mein gutmütiger Bär, der mir immer eine Schulter zum Anlehnen war und mir jedes
Abenteuer möglich macht.
Nicki,
die mit ihrer Ausgeglichenheit jede Gruppe bereichert.
Mary,
die jeden Schritt mit mir gehen würde und mir immer wieder das Gefühl gibt, stark zu
sein, wenn ich mich nicht so fühle.
Babi,
die an mich glaubt, für mich denkt und jedes noch so verrückte Abenteuer möglich
machen würde.
Udo,
mit dem ich noch viele Wege gehen werde, der mir meinen eigenen Weg erleichtert und
sich genauso hier hoch hat kämpfen müssen, wie ich.
Ben,
der meine Welt und mein Herz komplett auf den Kopf gestellt hat und mich so tief
berührt, dass ich keine Worte dafür finden kann.
Felix,
der alles für mich tut, ohne den mein Leben weitaus unbedeutender gewesen wäre und
der sich immer neues einfallen lässt, um mich glücklich zu machen.
Alex,
mein großer Bruder, der mir immer gezeigt hat, dass ich es schaffen kann, dass er mich
bedingungslos unterstützt und dass er seine peinlich verrückte Schwester genauso liebt,
wie sie ist.
Sie alle stehen mit mir hier oben und lassen mich glauben, dass es gut werden wird.

Flotschi bringt mir ein bisschen Schnee und lässt ihn in meinen Händen dahinschmelzen.
Morgen wird er sich mit Nicki, neben meinem grünen Sessel kniend, von mir verabschieden.
Es wird ein Abschied sein, der sich anfühlt, als wäre er für immer. Zumindest in dieser Welt.
Flo wird leise flüstern „Wir würden uns alle wünschen, wir könnten hier für immer mit dir
bleiben.“ Der Schmerz, der zu dieser Verabschiedung gehört, ist so grausam, es gibt keine
Worte, die das beschreiben können. Gehen zu müssen und alle die man im Herzen trägt, auf
einmal zu verlieren – das ist unbeschreiblich und womöglich müssen dafür auch keine Worte
gefunden werden. Es darf so sein, wie es ist. Schließlich wäre es schlimmer, es würde nicht
wehtun.
Nach einer glückseligen Stunde am Gipfel, machen wir uns für den Abstieg bereit. Ich merke
bereits, dass meine Lunge immer kleiner zu werden scheint. Ich atme schneller, nehme das
Geschehen um mich nur noch verzögert wahr. Felix drückt mir die Schmerzen im Nacken weg.
Sabrina kniet vor mir, stellt Fragen, ich möchte sie mit Nein beantworten, aber Felix Griff ist
so fest, ich kann den Kopf nicht schütteln. Ich blicke verzweifelt hin und her, aber mir fällt kein
Weg ein, wie ich das verständlich machen kann. Ich schließe meine Augen und hoffe, dass der
Moment vergeht. Dass mich diese Situation überfordert, zeigt mir, dass es jetzt wirklich
anstrengend für mich wird. So reagiere ich nämlich nur wenn meine Kräfte erschöpft sind. Ben
und Sabrina vergewissern sich die erste Zeit noch, dass ich gut atmen kann und auch sonst
alles stimmt. Beiden wird aber schnell klar, dass sie jetzt keine klaren Antworten mehr von mir
bekommen werden, Änderungswünsche schon gleich gar nicht. Ich wüsste nicht mehr, wie ich
überhaupt irgendwas äußern könnte. Auf dem Weg nach oben waren die zwei immer in
meiner Nähe gewesen. Jetzt gehen Sie weit vorne, vermutlich in der Hoffnung, die Karawane
so etwas schneller den Berg hinab zu treiben. Lotti übernimmt und kümmert sich um die
kleineren und größeren Bedürfnisse, die ich noch haben könnte. Ich höre die Kommandos der
anderen, spüre das Ruckeln, sehe steile Abgründe, schaue zu wie meine Karawane kämpft und
irgendwann lasse ich los. Normalerweise beobachte ich jeden Schritt, laufe in Gedanken mit,
fange Schläge durch Muskelspannung ab – jetzt schließe ich meine Augen. Das habe ich noch
nie getan, auf keiner unserer Wanderungen. Ich kann zwar ohnehin nicht helfen, aber
irgendwie bestand immer der Drang, bewusst dabei zu sein. Jetzt konzentriere ich meine Kraft
auf jeden nächsten Atemzug. Langsam nehmen Schmerzen meinen Körper ein. Ich sitze schief
und mein Kopf hängt unangenehm zur Seite. Manchmal nehme ich die Anstrengung auf mich
und versuche, den Rumpf zu stabilisieren. Das bringt eine kurze Entlastung, dann gebe ich
mich wieder erschöpft dem Schmerz hin. Mit Fortschreiten der Krankheit, habe ich mir immer
mehr angewöhnt, meine Schmerzen nicht zu bewerten. Sie sind nicht schlimm oder grausam,
sie sind da oder sie sind nicht da. Mehr nicht. Werden Sie unaushaltbar, äußere ich sie. Diese
Schmerzen muss ich noch nicht äußern. Als wir die Scharte erreichen, stellt sich die Frage nach
dem weiteren Weg. Lang, aber angenehmer. Kürzer, aber härter. In meinem Kopf ist Leere.
Abwägen, was mir lieber ist, kann ich nicht. Mir ist schlicht alles recht, eigentlich ist es mir
geradezu egal. Lefti, Sabrina und Ben blicken mich fragend an. Sie scheinen sich eine Antwort
zu erhoffen. „Nick in die Richtung, in die du gehen willst.“ Ich weiß nicht was ich tun soll und
lasse meinen Kopf in die Richtung deuten, die meinem Nacken weniger Schmerzen bereitet.
Damit geben sich alle zufrieden und ich kann meine Augen wieder schließen. Immer wieder
öffne ich sie und das was sich meinen Augen darbietet, erscheint mir fast unglaublich. Vor mir
sehe ich eine Kerstin, die mit gestreckten Armen die Stangen meines Rollstuhls über ihrem
Kopf trägt. Für sie scheint der Weg nach oben erst ein Aufwärmen gewesen zu sein. Jetzt
entfaltet sie ihre ganzen Superkräfte und wird zu Olga Hebmanowa. Kerstin hat im Laufe der
letzten Jahre immer wieder bewiesen, dass sie zu allem im Stande ist. Bei diesem Anblick bin
ich mir allerdings nicht mehr sicher, ob ich schon fantasiere. Mit schwinden der Höhe wird
mein Kopf zwar wieder klarer, aber ganz sicher, bin ich mir dennoch nicht. Erst als ich von
hinten Felix Stimme singen höre „das ist Wahnsinn Sari“ und Kerstin lachend fortsetzt mit
„warum schickst du uns in die Hölle?“, bin ich mir sicher. Ja, das sind die Verrückten, die mir
meinen Traum erfüllt haben. Udo huscht durch mein Blickfeld. Er scheint sich mindestens
genauso zu plagen wie ich. Ich weiß, wie viel ihm die Tage abverlangen und bin noch
dankbarer, ihn dabei zu wissen. Wir haben viele Wege geteilt. Den jetzigen schenkt er mir.
Stefan schiebt gerade hinten und legt vor lauter Anstrengung, die Griffe auf den Boden. Ich
sehe ihn auf dem Kopf stehend. Mary und er werden nachher noch abreisen, um morgen
wieder der Pflicht nachgehen zu können. Das hielt sie nicht davon ab, uns hier zu begleiten.
Lefti entschuldigt sich mittlerweile für jeden Schlag, den er eventuell unter großer
Anstrengung hätte abfangen können. Jedes Mal würde ich ihm gerne sagen, dass er sich
darum nun wirklich nicht mehr Sorgen muss. Er lässt mich ja ohnehin fliegen. Bald werden wir
den Weg geschafft haben, bald werden wir auf der Hütte sein und bald werde ich glücklich
einen Bissen Lasagne und einen Tiramisu essen. Franz hat beides extra für mich gemacht, das
hat Joni organisiert. Joni hatte sowieso alles, was mit der Hütte zu tun hatte organisiert. Und
das mit großer Freude. Jonis Begeisterung für dieses Abenteuer stieg nämlich mit jedem
Telefonat, das er mit Franz führte, noch mehr an. Auch Franz machte uns alles so leicht wie
möglich. Einfach alle, die irgendwie in diese Reise involviert waren, sahen keine Probleme,
sondern Möglichkeiten.
Als ich im Auto sitze fallen die ersten schweren Tropfen auf die Windschutzscheibe. Als mich
Maja ins Bett legt, grollt bedrohlich der erste Donnerschlag, der das Gewitter ankündigt, vor
dem wir uns beeilt hatten, davon zu kommen und kurz nachdem Maja und Ben mich in die
warme Stube der Hütte geschoben haben, öffnet der Himmel seine Schleusen und lässt an
denen, die noch draußen sind, keine Pore trocken. Es scheint, als würde der Wettergott sagen
wollen „Wenn ich gewollt hätte, hätte ich euch das versauen können. Aber ich wollte nicht.
Ihr solltet das schaffen.“
Als ich am Abend nach meinem kurzen Schläfchen in die Stube einrolle, habe ich die volle
Aufmerksamkeit meiner HeldInnen. Sie sehen mich alle strahlend an und freuen sich, dass ich
genügend Kraft habe, bei Ihnen zu sein. Wie immer fehlen mir die Worte. Nicht nur, weil ich
sie sowieso nicht artikulieren könnte, sondern weil ich einfach nicht glauben kann, wie sehr
diese Menschen meine Anwesenheit schätzen. Man möchte meinen, mittlerweile hätte selbst
ich kapieren müssen, dass sie für mich Berge versetzen würden. Ich werde es allerdings nie als
gegeben ansehen und es wird mich jedes Mal aufs Neue überraschen. Es wird immer mein
Herz berühren und diese Liebe wird mich bei meinem letzten Atemzug begleiten. Sie wird mich
beschützen und sie wird auch das sein, was bleibt, wenn ich gegangen bin.
Vielleicht ist dies also doch eine Sage. Vielleicht wird man sich Irgendwann die Geschichte von
den Heldinnen und Helden erzählen, die sich aufmachten, um ihre sterbenskranke Freundin
auf ihren liebsten bleichen Berg zu tragen. Vielleicht wird man sich erinnern, dass
Freundschaft alle Unterschiede unwichtig erscheinen lässt. Und vielleicht wird, wenn die
bunten Blumen um den Peitlerkofel blühen und die Hummeln den ganzen Berg sanft
brummen lassen, die Liebe, die uns alle verbindet, oben am Gipfel zu spüren sein.
Oben, auf dem Berg der Herzen.